15. Juni 1991

Der 1. Leipziger Rockwettbewerb

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Vorwort, zum Archiv allgemein
Die Einträge zu den Jahrgängen werden aus – im besten Falle – drei Teilen bestehen. Einem persönlichen, einem faktischen und einem dokumentarischen. Für jedes Jahr wird es einen Reader mit allen recherchierten Fakten – Finalbands, Sieger, Publikumspreis etc. – geben. Dazu werden online verfügbare Dokumente verlinkt, Videos, Fotos, Bandpages, Artikel. Der persönliche Teil wird ein Text eines Siegers / Teilnehmers sein. Für 1991 werde ich aus vielleicht nachvollziehbaren Gründen – den Anfang machen, für die anderen Jahrgänge frage ich einfach mal rum, wer Lust & Zeit zum Dichten hat.

Vorwort zum Jahrgang 1991
In Leipzig gab es seit 1985 das Leipziger Rockfestival, organisiert von der IG Rock beim Kulturbund der DDR, Bezirksleitung Leipzig. Die Anregung für einen Rockwettbewerb kam aus Hannover. Dort war die IG im Dezember auf Einladung des dortigen Rockbüros zu Besuch und im Rückreisegepäck waren dann Dinge wie ein Rockbeauftragter und eben ein Rockwettbewerb. Der IG-Rock-Vorsitzende Edgar Lahrius-Bergmann wurde 1990 bis 1995 zu Leipzigs ersten und bisher einzigen Rockbeauftragten, der Leipziger Rockwettbewerb konnte nach langem Hickhack um die Finanzierung schließlich 1991 ausgetragen werden.

Wikipedia „weiß“ über Bobo in white wooden houses folgendes: „Mit Wide awake gewann die Band 1990 den Leipziger Rockwettbewerb…“. Die Recherche zu diesem Thema erbrachte auf der einen Seite die Einschätzung „völliger Quatsch“ (E. Lahrius-Bergmann), auf der anderen Seite (nämlich bei parocktikum.de) gab es die Erinnerung, dass beim VI. Leipziger Rockfestival 1990 das Publikum votieren durfte, welche der auftretenden Bands das meiste Gefallen gefunden habe. Das Votum für Bobo in white wooden houses habe sie dann IG-Rock-intern zur „Band des Jahres“ gemacht, was wohl auch so in einer Ausgabe der IG Rock Veröffentlichung „Rockblatt“ niedergeschrieben worden sei. Da diese Ausgabe, wie das „Rockblatt“ allgemein, nicht zu beschaffen war, kann dies hier nur so dokumentiert werden.

Hier meine persönliche Erinnerung an das Jahr 1991. Persönlich verdichtet und allerhöchstens die halbe Wahrheit.

In meiner Erinnerung klopfte es eines Tages im Frühling 1991 an der Tür meiner damaligen Bleibe in der Franz-Flemming-Straße. Jemand aus der IG Rock, die ja zum großen Teil aus der Jungen Gemeinde der Leutzscher Laurentiuskirche bestand, überbrachte die Nachricht, dass Scandalous Smile den Rockwettbewerb gewonnen hätte. Wir hatten mit nichts anderem gerechnet. Insofern war die Freude über den Titel groß, entsprach aber ungefähr unserer spätpubertären Selbsteinschätzung: wir waren schlicht und einfach die Größten (womit sich unser Selbstbild wahrscheinlich nicht wesentlich von dem eines durchschnittlichen Spätpubertierenden unterschied).
Diese Erinnerung kann übrigens nur falsch sein. Ich bin im Herbst 1990 aus meiner ersten WG in der Franz-Flemming-Straße rausgeflogen.

Der Rest dürfte so ungefähr hinhauen. Alle anderen uns bekannten musikalischen Projekte Leipzigs zu dieser Zeit waren für unsere Ohren entweder Ostrock (der war gerade alles andere als salonfähig), Schrammelpunk (und somit unter Niveau) oder waren lausige Songwriter. Messer Banzani, die in unseren Augen einzigen ernst zu nehmenden Rivalen in der Stadt, hatten mit Lanni einen Mann in der Jury sitzen und liefen damit außer Konkurrenz.

Messer Banzani, 1992 in der Moritzbastei

Wir waren jung damals, um die 20 Jahre, und wir waren Kinder der DDR. Mein musikalischer Horizont reichte nicht viel weiter als bis zum britischen Pop a lá The Smiths, U2 oder The Cure. Ein paar von Scandalous Smile hörten Tom Waits oder John Zorn oder Phillip Glass. Die „anderen Bands“ der DDR (zu denen wir uns zugehörig fühlten) bildeten den einzigen, vagen Anknüpfungspunkt zu dem, was jenseits der Mauer an musikalischem Underground stattfand. Punk war nicht unser Ding, auch wenn wir auf den „anderen“ Konzerten in diese Welt eintauchten und einmal im Mockauer „Punkkeller“ aufgetreten waren. Keine Ahnung von Hardcore, von No Wave, von Detroit Techno, von dem, was bei Zick Zack in Hamburg heranwuchs. Also praktisch keinen Plan von der gesamten musikalischen „Avantgarde“ außerhalb der Zone zu dieser Zeit.

Wir kannten fast alle Bands, die mit uns beim Rockwettbewerb „angetreten“ waren, persönlich. Überhaupt, die Szene war sehr übersichtlich. In einer Band zu spielen, dazu noch in einer „anderen Band“, galt damals noch als erster Schritt zum Bürgerschreck. Mit den meisten spielte man hier oder dort zusammen Konzerte. Es gab verdammt wenige brauchbare Musiker in unserer Generation, die nicht in irgendwelchen Kapellen muggten, die bereit waren, „in den Untergrund“ zu gehen. So ergaben sich teilweise skurrile Besetzungen; in Punkbands spielten verirrte Funkgitarristen, Deutschrocktrommler in Experimentalcombos.

Die Not wurde noch größer, wenn die halbe Band zu NVA eingezogen wurde, was uns im September 1989 passierte. Wir suchten händeringend nach temporärem Ersatz. Schließlich stand ein langhaariges Metaltier in unserem Grünauer Klassenzimmer. Wir beiden Aushilfs-Housemartins trommelten und klampften ein paar empfindsame Britpop-Schlager. Das schwarze Zottelwesen verschwand nach einer halben Stunde. Das nächste Mal habe ich ihn als Bassisten der Tishvaisings getroffen. Rajko Gohlke als Einwechselbassist bei Scandalous Smile, das wäre doch mal was gewesen. War aber nicht, besser so.

In anderen Konstellationen klappte es besser; Martin von C.C.B. spielte für eine Aufnahme von uns Bass, den gleichen Job habe ich eine Zeit lang für U.C. Radd erledigt, usw. usf. Ähnliche Geschichten kann wohl jede damals existierende Leipziger Band erzählen. Die ganze Szene war durchwoben von Aushilfsdiensten, die zu wunderbaren Freund- wie Feindschaften wurden. Manche davon halten bis heute vor.

Die Konzerte der sechs Preisträgerbands Mitte Juni 1991 auf dem Uni-Innenhof waren nicht sonderlich gut besucht. Zu unserem Auftritt waren vielleicht 150 Leute da, bei den anderen sah es noch trostloser aus. Die Grenzen waren seit zwei Jahren offen, die Leute hatten schon längst begriffen, dass auch im Independentbereich ganz andere musikalische Maßstäbe galten als das, was wir Leipziger Träumer zustande brachten. Was bis 1989 noch für Aufsehen sorgte – „Die klingen wie die Smiths!“ – war nun ein abfälliges – „Die klingen total nach den Smiths…“ geworden. Die Welle, 1989 in Leipzig losgetreten, war längst über unsere Köpfe hinweggerollt. Wir konnten ihr nur wehmütig hinterher singen.

Die 5000 D-Mark Siegprämie wurden übrigens aufs Sparbuch gelegt. Für eine spätere Demo-CD-Produktion, die damals noch gut ein Drittel teurer war als die fünf Riesen. Zur der es aber nie kam, wir waren schlussendlich wohl zu zaghaft. Mehr als noch zwei oder drei Produktionen in Stolles Studio Bunker brachten wir nicht zustande. Die einzige „offizielle“ Veröffentlichung wurde ein Beitrag auf der LP „Hörgewohnheiten in Leipzig“, einem Sampler des Leipziger Fanzines Persona Non Grata. Bei der Auflösung der Band 1993 wurde der Rest des Preisgeldes unter den Mitgliedern aufgeteilt. Wir waren sehr bürgerliche Bürgerschrecks, mit Kontoauszügen und ordentlicher Steuererklärung.

Damals haben wir gedacht, der Sieg beim 1. Leipziger Rockwettbewerb war der erste Schritt auf unserer Mission, die Stadien dieser Welt zu füllen. Wie gesagt, wir waren jung, größenwahnsinnig und hatten keine verdammte Ahnung.

Hier noch alle Bands und Pressestimmen im 1991 LRW Reader.


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