5. Dezember 1992

2. Leipziger Rockwettbewerb 1992

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Die Geschichte in zwei Sätzen:
Der Jahrgang 1992 war die denkwürdigste Austragung des Leipzger Rockwettbewerbs.
Und:
Think About Mutation sind am Ende doch keine Superstars geworden.

Die Langversion der Geschichte soll nach einigem Überlegen von hinten erzählt werden. T.A.M. löste sich 2002 auf, ohne für die Rente vorgesorgt zu haben. Im Jahr versuchen 2010 finden sich die Überbleibsel der Band bei der Sonic Boom Foundation, bei Myra und Krieger und den Freunden der italienischen Oper und Mikrowelle und in Ilses Erika und überhaupt. Kay hat sein Schlagzeug verborgt und weiß nicht mehr, an wen.

Von all den anderen Bands des Jahrgangs 1992 ist noch weniger geblieben. Von den meisten überhaupt gar nix.


Für einige hielt das Leben eine Anstellung bereit, für andere gilt weiterhin der Satz, den man in Toni Zekls (damals EIN ABER) Biografie findet: „im Rahmen der gesellschaftlichen Umstände und Bedingungen als freischaffender Autodidakt tätig.“ Für denkwürdige Internetpräsenzen hat T.Z. wohl ein Faible.

Ehrlich gesagt, das wundert nicht weiter. Think About Mutation waren nie wieder so gut, so verstörend und so mitreißend, wie in ihren ersten Jahren. Ich persönlich halte ihr erstes Tape weiterhin sturköpfig für ihre beste Veröffentlichung. Zum einen, weil sie J.R.K.K. Hänsch dabei hatten. Zum zweiten, weil sie bei Mike Stolle keine andere Wahl hatten, als die Songs sprechen zu lassen. Die Produktionsmöglichkeiten waren absolut begrenzt, trotzdem (oder gerade deswegen) trägt die Grundidee des Techno-Metal-Pop-Mashups auf diesem räudigen Tape in seiner Grundidee wunderbar.

Später verhedderte sich der TAM-Sound zwischen all den Knöpfen, Drehern und Sequenzern in den ach so schicken Studios dieser Welt (vom Einfluss verkokster „Produzenten“, die in den 90ern in solchen Etablissements tageslichtscheu vor sich hinvegetierten, mal ganz zu schweigen).
Zum Dritten: the first cut is immer the deepest (das gilt übrigens nicht, wenn man dem dritten Wort ein “n” an entsprechender Stelle zufügt). Als ihr Debütalbum „Motorrazor“ 1993 erschien, hatte sich die Welt schon ein paar Runden weiter gedreht. Metal und Techno verschmolzen auch anderswo, und gegen das, was 1992 noch so passierte, hatten T.A.M. aus verschiedensten Gründen nichts anzustinken.

Aber das ist alles Geschichte, es ist nichts von damals geblieben, es interessiert auch niemanden weiter. Außer uns hier, natürlich.

Den Finalabend habe ich nur noch dunkel in Erinnerung. Wenn mich nicht alles täuscht, war ich mit ein paar Freunden da. Die meisten Bands haben wir nur am Rande mitbekommen. PETER´S DEAL und FACTORY OF ART gibt es wohl heute noch, sie sind genauso bedeutend wie 1992. Die Party-Attitüde von THE COOKS war mir zumindest weitgehend fremd. Funk Rock, von Musikhochschülern mit Kochmützen vorgetragen. Haltet mich fest.

The Cooks ca. 1993 in der Moritzbastei

Bei DEATH ON DOOMSDAY spielten drei langhaarige Headbanger mit bleichen Oberkörpern so was ähnliches wie sehr laute Musik, es wird wohl im weitesten Sinne Metal gewesen sein. Da ich für Unterhaltungskunst dieser Prägung taub bin, waren sie für mich nicht laut genug.

CHRIST CREEPS BACKWARDS
begann ich irgendwie zu mögen in dieser Zeit. Sie verhedderten sich nicht mehr ganz so sehr in ihren Breaks, der Drummer hatte wirklich dazu gelernt in den letzten Monaten. NoMeansNo kannte ich 1992 nur aus irgendeinem Artikel der PNG, den ich wahrscheinlich nicht verstanden hatte. Aber ich mochte die Musik, Martin und Krami konnte man sowieso nur sympathisch finden.

Dann noch EIN ABER. Was der Name an Verkopftheit versprach, übertraf die Performance noch lässig. Kunstrock mit Fagott. Nein, ich habe nicht zum Leipziger Underground der Achtziger Jahre gehören dürfen. Mir fehlte also die Vorbildung, das Vorfeeling, überhaupt alles, um mit Toni Zekls Tonmalerei etwas anfangen zu können.

Blieben noch CONSPIRE TOGETHER. Die dritte Band, die neben Peter´s Deal und C.C.B. schon 1991 zu den Prämierten des Rockwettbewerbes gehörte. Damals in leicht abgewandelter Besetzung unter dem Namen Absent Steven. Björn Achenbach hat es in seiner Rezension für den Kreuzer gut kolportiert: „Die werden noch mal eine gute Aufnahme machen. Ohne Publikum“. Diese Art von Popmusik, mit Bratsche und melancholischer Frauenstimme sollte der Soundtrack des Jahres 1992 sein? Bei allem Respekt, das nein.

Der Soundtrack des Leipziger Jahres 1992. Drei Jahre nach dem friedlichen Oktober, zwei Jahre im neuen Deutschland. Hatten wir – damals Anfang, Mitte 20 – gerafft, in welchen Zeitenumbruch wir da geraten waren? Es war ja nicht nur der Zusammenbruch unseres kompletten sozialen Systems, mit all seinen Vorgaben, Werten, Erwartungen, mit und gegen die wir unsere Persönlichkeit ausgebildet hatten. Die Geschichten der Jugendkultur der 90er Jahre in der ehemaligen DDR sind nur bruchstückhaft erhalten. Im besseren Fall findet sie sich bei Clemens Meyer, im schlechteren bei Jana Hensel. Dazwischen ist verdammt viel – Nichts.

In Leipzig 1992 passierte alles gleichzeitig: De-Industrialisierung, das langsame Ausmisten des DDR-Apparates, die Orientierungslosigkeit nach dem großen Knall mixte sich mit dem Sound von Grunge und bassigen Beats im Stroboskoplicht illegaler Kellerklubs. Die Zündspule in der Zentralstraße war der Partyschmelztiegel dieser Zeit, für einen winzigen Augenblick wurde zu Gitarrenriffs ebenso abgefeiert wie zu Westcoastbeats, Detroit-Techno, Bristol Trip Hop.

Der Rockwettbewerb 1992 hat diese Zeitstimmung wunderbar eingefangen. In der Siegerband verschmolz fast alles, was das Lebensgefühl dieser Jahre ausmachte. Anarchie, Härte, tanzbare Beats, ein Hauch von Unberechenbarkeit, Pop-Appeal. Eine Art Supergroup der Leipziger Bandszene mit unglaublichem Standing. Drummer Kay spielte symbolträchtig in drei der auftretenden Bands. Bei „Working Hand In Hand“ gehörte es auch an diesem Abend zum Programm, dass Freunde die Bühne enterten und den Refrain mitgrölten (was ich damals immer ein bisschen peinlich fand).

Die letzte Anekdote soll auch noch erzählt werden: THE COOKS fühlten sich ziemlich beschissen nach dem Abend. Vor allen Dingen fühlten sie sich von der Jury um den Sieg beschissen. Die Cooks hatten sich – ähnlich schnell wie T.A.M. übrigens – eine erstaunliche Anhängerschaft in Leipzig erspielt. Ihre Auftritte sorgten 1992 auf jeder Hinterhofparty für Furore. Ihr Publikum war weit weniger hemdsärmlig, bierseelig und auf Krawall gebürstet als das von T.A.M. und dementsprechend emotional enttäuscht vom Ausgang der wilden Hatz im Haus Leipzig. Hey, die können viel besser ihre Instrumente spielen! Das sind echte Studenten von der Hochschule! Die sind nicht so laut! Und die haben richtige Melodien und schreien nicht nur rum…

Es blieben nur Think About Mutation als denkbarer Sieger für diesen Rockwettbewerb. Wie rasant damals die Uhr lief, zeigt ein Blick zurück auf das Jahr 1991. Der Sound hatte sich komplett gewandelt, die Siegerbands des Vorjahres wirkten neben der von 1992 wie Milchbubis. Es ergibt ein hübsches Zeitpanorama, sich die Musik dieses Rockwettbewerbes anzuhören und dazu „Als wir träumten“ durchzublättern. Was bleibt, ist der Nachgeschmack einer unglaublichen Zeit, in der alles möglich erschien und in der im Rückblick nicht viel zu holen war. Ein denkwürdiger Jahrgang des Rockwettbewerbs, falls wir das vergaßen zu erwähnen.

Hier noch zum Nachlesen mit ein paar Pressestimmen der 1992 LRW Reader

PS: Kommentare, Ergänzungen, Beschimpfungen aber auch sachdienliche Hinweise wie Fotos oder Videos aus der Zeit sind übrigens allzeit willkommen.


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