Die erste Lektion: Die Oper ist erst vorbei, wenn die dicke Lady gesungen hat. Sprich: der Artikel ist erst online, wenn der Button mit der Aufschrift „Veröffentlichen“ gedrückt wurde. Gerade fragte mich Josi, warum ich den Beitrag wieder offline gesetzt hätte, ob es Beschwerden gegeben habe… Noch nicht, wie auch. Aber jetzt habe ich es endlich auch geschnallt. Tut mir leid.
Gestern nacht hat Timo Senfleben das Jahresfinale des Song Slams 2014 gewonnen. Mit zwei ungelenken, auf der Rasierklinge zwischen Peinlichkeit und Selbstironie reitenden Songs hat er für Kopfschütteln und ungläubiges Lachen im Publikum gesorgt. In 300 Gesichtern stand die Frage: „Das meint der doch jetzt nicht ernst. Oder?“ Die Antwort war tosender Applaus, der beinahe wie eine Befreiung wirkte nach der Fassungslosigkeit, die Timo durch seine zwei Auftritte auslöste. Wahrscheinlich hat er gar nicht gemerkt, was er da angerichtet hat. Sollte Timo jedoch seine beiden Auftritte genau so geplant haben, wie er sie gestern ablieferte, dann wird die Welt noch von ihm hören.
Slams sind nicht der Platz für die Liebe auf den zweiten Blick. Vielschichtige Kunstwerke, die ihre ganze Magie beim dritten Studium entfalten und sich dann auf ewig ins ästhetische Langzeitgedächtnis einfräßen, haben auf einer Festival- oder Slambühne keine Chance. Hier regiert, wer auf dem Punkt landet.
Solche Magier des Augenblicks sind immer eine Nuance „too much“. Das gilt übrigens nicht nur für die Bühne. Was einem gestern bei den Auftritten von Timo Senfleben wiederfuhr, das passiert einem auch beim Betrachten von Gemälden Salvador Dalis. Im ersten Moment ist man überrumpelt und verunsichert. Obwohl man sich fragt, ob man hier Kunst oder doch Kasperei gegenübersteht, ist man von der Chuzpe des Vortrags entwaffnet.
Gab es gestern abend Songs, die besser waren? Sänger mit eindrucksvolleren Stimmen? Bewegendere Texte? Na klar! Alle Beiträge waren „künstlerisch wertvoller“ als die von Timo (bis auf den von Christian, der verhuscht einen seltsam skizzenhaften Song über „Bierchen“ vortrug). Aber wie er traumhaft zwischen Peinlichkeit und Selbstironie umhertorkelte, von einem Reim zum anderen stolperte, mit kleinen Handbewegungen dem Publikum versicherte, dass es ruhig über ihn lachen könne, weil er sich ja scheinbar selbst nicht für voll nimmt – das war überzeugend. Natürlich spielte ihm in die Hände, dass er der einzige „lustige“ Slammer des gestrigen Abends war. Dieser Vorteil war sein einziger in Anbetracht der wirklichen Klasse, die seine Slam-Kollegen ihm gestern entgegenstellten. Timo hat ihn genutzt, und wie! Der Schlussapplaus lies keine Zweifel zu, wem die Slamkrone 2014 und die von Tim Thoelke sorgfältig geschüttelte Flasche Siegersekt gebührt.
Um ein bisschen zu verstehen, gegen welch tolle Sänger und Musiker sich Timo gestern durchsetzte, könnt ihr euch mal durch deren Webseiten wühlen: Flonske, Jody Cooper, Bastian Bandt, Jana Berwig, Timo Senfleben, Mishka Adams, 2er-Sitz (Christian habe ich online nicht gefunden).
Wir freuen uns auf die nächste Staffel des Song Slams, auf Überraschungen wie die gestrige, auf tolle Songs, auf bis in die Haarspitzen motivierte Moderatoren (Tim und Julius waren weltmeisterlich gestern) und hoffen auf Slammer, die uns vom Hocker hauen. Schon im September heißt es dann wieder: Der Song Slam ist tot, es lebe der Song Slam!
Hier noch ein paar Bilder auf der MB-Homepage .