21. April 2015

Provinzposse mit Merkel

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Mitte Februar zückte ich mein Telefon, als ich Zeuge wurde, wie zwei junge Männer ein weiß verhülltes Gemälde in Richtung Karl-Tauchnitz-Straße trugen. Später wollte ich das Foto wieder löschen, aber irgendwie war die Szenerie zu skuril, ich entschied mich für’s Aufbewahren. Am Wochenende geisterte dann die Meldung durchs Netz, dass der Staatschutz gegen den HGB-Studenten Martin Schwarze ermittelt. Anlass dafür bot sein beim HGB-Rundgang ausgestelltes Bild „Was ist Macht?“, das Angela Merkel vor schwarz-rot-goldenem Grund zeigt, während ihr ein Vermummter in Turnschuhen ein Automatikgewehr an die Schläfe hält. Als ich bei Spiegel Online das Gemälde sah, erinnerte ich mich an mein Handyphoto. Mir war der schwarz-rot-goldene Hintergrund in Erinnerung geblieben und tatsächlich – beim genaueren Hinsehen sieht man Martin Schwarzes Bild durch das Tuch schimmern. Wahrscheinlich wird es gerade zur HGB getragen, um dort ausgestellt zu werden.

Die Ermittlungen des Staatsschutzes löste übrigens der Leipziger CDU-Politiker und Europaabgeordnete Hermann Winkler aus. Kunstkritik mit polizeilichen Mitteln, das hatten wir lange nicht. Hätte Winkler Kunstverstand und vielleicht ein bisschen Humor, dann hätte er sich genüsslich und völlig zu Recht darüber auslassen können, wie beschämend schlecht Martin Schwarzes Gemälde sowohl in der Ausführung als auch in der Aussage ist. Martin Schwarze lässt sich bei SPON zitieren, dass seine zentrale Frage „Wer übt wie auf wen Macht aus?“ gewesen wäre. Diese Frage mit einem Gemälde zu stellen, das stilistisch den Covern der „Titanic“ nachempfunden ist (wenn ihnen gerade nichts witziges einfällt), sagt schon vieles. Wahrscheinlich hätte es die „Titanic“-Redaktion sogar abgelehnt.

Der Herr Abgeordnete Winkler bemühte stattdessen den besorgten Bürger, der in letzter Zeit auch gerne Montags durch die Gegend demonstriert, um sich in dessen gefühltem Auftrag als lebendigen Schutzschild zwischen Kunststudent Schwarze und die bedrohte Vorsitzende und Bundeskanzerlin zu werfen. Wahrscheinlich hätte er die Frage, ob der „Aufruf zur Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung angemessen“ sei (Zitat SPON), auch den Mohammed-Karikaturisten entgegengeschleudert, einen „Je suis Charlie“-Sticker am Revers.

Leipzig ist also trotz aller Weltstädtelei immer noch gut für Provinzpossen, wie beruhigend. Angefangen beim Gemälde, über die Besorgnis des Bürgers Winkler bis hin zu den verdrucksten Statements des Kunststudenten, der sich darüber empört, dass die HGB-Rektorin ihn nicht unter ihren Röcken vor den Ermittlungsbehörden versteckt.

Früher, als die Menschen noch schlecht und die Auseinandersetzungen noch gut waren, hat Thomas Brasch mal gezeigt, wie man dem staatlichen Kunstbetrieb tief in die Wade beißt. Und Franz-Josef Strauß hat ihn ebenso nonchalant abtropfen lassen. Beschwert hat sich hinterher übrigens niemand darüber, dass alle ihren Part als Feindbild des jeweils anderen mit stolzer Brust ausgefüllt haben. Immer wieder schön zu anzusehen:

Das Foto werde ich mir übrigens einrahmen und über den Schreibtisch hängen. Um mich daran zu erinnern, dass die schrägsten Geschichten immer noch das Leben selbst schreibt.


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