Foto (M): K. Schomburg / Susann Jehnichen
Rückblick: am 10. Oktober 2017 erinnerten Leipziger und Berliner Musiker an den vor fünf Jahren überraschend verstorbenen Nils Koppruch mit einem Konzert. Die Anregung zu diesem Konzert hatte Benjamin Heine an die Moritzbastei herangetragen, und gemeinsam organisierten wir einen Abend, der die Songs des Hamburger Sängers und Songschreibers unter dem Titel „Loch in der Welt“ feiern sollte. Mit dabei waren Ralph Schüller mit seiner Band (die auch alle anderen Sänger begleitete), Karl die Große, Torsten Reitler, Las-Mananitas-Sänger Friedrich Pohl und Daniel Dexter, der den kurzfristig ausgefallenen Jörg Wolschina von Der Elegante Rest vertrat. Benjamin hat für das Basteiblog einen Text über das Konzert geschrieben, die Bilder hat Susann Jehnichen aufgenommen.
Morgen, Kinder, wird’s was geben. Und zwar einen „Loch in der Welt“-Abend in der Moritzbastei, am 10. Oktober 2017, dem fünften Todestag von Nils Koppruch, dem FINK- und Kid-Kopphausen-Sänger, dem norddeutschen Übersetzer aus dem Americana. Heute, Kinder, aber ist erstmal Generalprobe, im Telegraph übrigens. Auf dem Flügel liegt eine Pistole. Vielleicht haben sich deshalb alle Protagonisten in sicherem Abstand dazu vor der Bühne auf drei Orientteppichen im Kreis aufgestellt.
Torsten singt „Alles sagen“, Jann zündet sich eine Zigarette an, während seine Füße weiter Schlagzeug spielen. An einem der kleinen Tische im Saal spielt jemand Trompete. Ein paar Hocker stehen kopfüber auf dem verwaisten Tresen, andere in ihren Leoparden-Miniröcken davor. Der rote Vorhang hängt auf halb achte. Caruso hätt‘ sich aufgehängt. Frank Oberhof trägt den gleichen Almöhi-Graubart wie Michael Stipe und macht ein Foto mit dem Telefon. Der Reitler trägt einen Streifenpulli, vielleicht so ein Hamburg-Ding, wer weiß. Die Trompete svenregenert ins Orgelsolo, die Diskokugel arbeitet gewissenhaft für die Katz. Schön fiebrig klingt der Song, trotz grellen Saallichts. Für „Stern“ werden Orgel und Telefon gegen zwei Akkordeons … Akkordeone … Akkordeoni eingetauscht. Einhellige Meinung: „Geht!“ Joe Kucera schläft auf einer der Kautschs. Für „Dass sie weiß“ kündigt Ralph ein 6/8-Schnuffelende an. Klingt doch schon mal gut.
Friedrich von den Las Mañanitas tritt auf, kuckt finster. Schickt dann aber seinen „Billy McKee“ durch die Prärie, erst schleppend, dann so galoppierend, dass die Orientteppiche Angst kriegen, verkloppt zu werden. Die anderen Gesichter der Musiker können sich zwischen konzentrierter Arbeit und gelöstem Grinsen nicht entscheiden. Friedrich gibt Jann für „Ro-ro-rolling Stone“ noch eine Botschaft mit auf den Weg: „Weniger Snare, mehr Proll-Rock!“ Einmal werden wir noch wach…
Und siehe da: knapp 130 Leute sind einen Tag später, an diesem 10. Oktober in die Moritzbastei gekommen. Freudig kucken sie aus der Wäsche. Auf ganz viel Bass folgen Feuerwerk und Rausch, Konfetti und Applaus. Ralph Schüller und seine Band betreten die Bühne, ruhig und warm ist der Sound, elementofcrimiger als Element of Crime je war. Ob einige „Stein in den See“ für ne rare Fink-B-Seite halten? Hat ihnen ja keiner gesagt, dass die Musiker heute auch eigene Songs spielen. A propos „die Musiker“: neben Ralph und seiner Band sind das Torsten Reitler, Karl die Große (in klein), Friedrich Pohl von den Las Mañanitas und Daniel Dexter vom Eleganten Rest sowie Stefan Streck aka The Micronaut am Mischpult. „Wenn das alles wahr ist, dann bleib ich“, singt Ralph und hat damit sehr recht.
„Hoffentlich ein Liebesbrief und der kommt an“, der zweite Schüller-Song zum Auftakt. Rainer greift beherzt ins Akkordeon. Dann der Reitler, also der Torsten, seines Zeichens mit einem eigenen Schreibtisch in der Moritzbastei ausgestattet und überhaupt der Das-alles-ermöglicht-Macher hier. Sogar ein Banjo hat er vor ner Woche gekauft! Und Sie wissen ja, was der Unterschied zwischen einem Banjo und einer Kettensäge ist, nicht?
Nicht?
Na, auf einer Kettensäge kann man auch mal ne Ballade spielen… Äh, ja. Torsten wünschte nun, er „könnte dir alles sagen“, die Orgel wörlitzert dazu. Michael Stipes weißer Vollbart wird an Frank Oberhofs Gesicht durchs Bühnenlicht erst hellblau, dann unsichtbar. Jedenfalls von der Seite. Die beiden Akkordeoni und vor allem der Gute-Laune-Bass stapfen rein, „Stern“ ist Trumpf. Es galoppiert so schön vor sich hin, dass der Tonmann mal schnell die Regler grade sein lässt und in den Backstage verschwindet. Bier oder das Gegenteil, wer weiß? Jemand macht Huuh in den Applaus hinein, stark. Torsten spielt einen funkelnagelneuen eigenen Song, der enthält die ganz zauberhaften Zeilen: „Ich kann kein Judo, kein Karate / schieß mit Kanonen auf Spatzen / und treffe nicht.“
Karl die Große ist dran, kleiner als sonst, „nur“ dreiköpfig. Christians Bass brummt schon vor der ersten Berührung. Kurze Skepsis bei der Band, aber vom Mischpult her heißt es: „Is‘ geil so!“ Genau. Und los. „Mal kucken was passiert“ mit Claps und dann auch Bass, und es klingt ganz anders als sonst, aber trotzdem toll! Wir atmen ein, bevor der Vorhang fällt und hui, der Bass im Refrain! Für „Die Stadt“ drückt der Micronaut einen Knopf aufm Mischpult und alle Regler zaubern sich an ihre jeweilige Position, die sie sich ganz richtig aus dem Soundcheck gemerkt haben.
Das erwiesenermaßen mit 745 Punkten Vorsprung beste Liebeslied in deutscher Sprache seit Christi Geburt (genau: „Wohin du gehst“) spielt die Band ruhiger, reduzierter, nur mit Yoanns E-Gitarre, Bummbummklatsch und Menschenskind, diesem Christian Dähne am Bass! „Er sieht sie an während sie ihn ansieht und er sieht zur Tür“ (wiederum bei der Wahl zum griffigsten Songtitel aller Zeiten ganz weit vorn platziert) hingegen klingt sehr orgelig, Sarah Leschs Tastenmann Rainer sei Dank. Das Banjo ist auch zurück auf dem Centrecourt. Die Schüller-Band hängt gleich mal „Daß sie weiß“ dran, also nicht ans Banjo, sondern an die Setlist. Vorher erzählt Ralph, ostsozialisiert („Mutti: Post, Vati: Stasi“) aber noch, zum Fasching immer Indianer, dass Nils Koppruch der erste ihm sympathische Cowboy war, weil so lebensfroh melancholisch.
Nach ein paar Takten von „Den Teufel tun“, sagt ganz hinten im Saal eine junge Frau erschrocken „Da muss ich mitsingen!“. Eine Tür wird aufgerissen, ein Gang lang gerannt und plötzlich steht Wencke Wollny – Karl die Große – auf der Bühne und singt „Den Teufel tun“ mit. Die Band klingt fantastisch, der Klang auch. Das allgemeine Hach ist da, aber nicht erdrückend, sondern einfach so, schön. Pause und ein paar Hallo-du-auch-hier-lange-nicht-Gesehens.
Nach der Pause ein Lied über einen Briefkasten mit offenem Mund von der Schüller-Band sowie „Herz aus Holz“ mit Friedrich von Las Mañanitas. Gitarre, Banjo, Mandoline, alles dabei. „Billy McKee“ klingt bis zum Bruch im Song wirklich wie ein verschollener Fink-Song – danach metert es so dermaßen los, dass sich der Reitler eins grinst und einer im Publikum laut yiiihaat. Selbst schuld, wer jetzt noch sitzt. Echte Indianer reiten im Stehen. „Meine Braut“ grüßt herzlich von Herrn Koppruch: Haben wir nicht Glück / dass wir uns gefunden haben? / Ich hab dich solang‘ vermisst / Und ich werd solange bei dir sein / Solange du da bist. Ja, richtig.
„Als einer einmal nicht kam“ wollte Jörg eigentlich singen, hat das Ganze dann aber zu wörtlich genommen und kurzerhand abgesagt. Daniel Dexter aus seiner Band springt ein, lässt in „Hund“ den Eleganten Rest regelrecht heraus bellen. Schade, Jörg, vielleicht ja beim nächsten Mal.
Dann mit der ganzen Brigade: „Loch in der Welt“, Wencke verkarlisiert mit „Haa-haa-haa“-Chören, Jann streichelt liebevoll sein Schlagzeug, das Banjo flirrt. Instrumental geht es auf, dieses Loch in der Welt, wird tiefer und tiefer. „Eigentlich müssten wir auf Tour gehen bis 2019!“ Aber erstmal noch eine Portion „Kirschen“ für alle und da ist sie, die unverstellte, beinahe kindliche Fröhlichkeit des Nils Koppruch. Trompete und Saxophon sind die Herrlichkeit in Person oder wie man sagt, sogar der selbsternannte Trommelschlumpf singt mit. Die Mädchen wiegen sich im Shuffletanz / Die Jungs stehen rum und geben mächtig an / Die Band ist laut und jeden Groschen wert / Sie spielen dein Lied nachher beim Wunschkonzert. Alle wollen eine Zugabe, aber keiner hat was vorbereitet. Also einfach ein Bad im warmen Applaus.
[mygal=nilskoppruch]
Habt vielen, vielen Dank, Torsten, Ralph, Jann, Rainer, Frank, Ole, Joe, Hendrik, Wencke, Yoann, Christian, Friedrich, Daniel, Jörg (ein bisschen), Rick, Stefan, Kerstin, Annett und Susi, dass ihr meine kleine Idee zu diesem kleinen, großen Abend gemacht gehabt. Danke.
Benjamin Heine