Gestern abend fand meine Erstbesteigung des Daches des LVZ-Redaktionsgebäudes statt. Zwei stahlblaue Hostessen empfingen drei Handvoll Interessierte zur Podiumsdiskussion „Brot und Spiele: Kultur heute – Standortargument, Wirtschaftsfaktor, Spaßevent?“, quasi der Eröffnungsveranstaltung der (popup-Messe.
Ich habe mich auch zu Wort gemeldet, zum blanken Entsetzen von Rick, der neben mir saß. Aber halten wir uns nicht mit Unwesentlichkeiten auf…
…sondern geben wir euch weiter, was der Menschheit von dieser Veranstaltung in Erinnerung bleiben sollte:
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LVZ-Szene-Redakteur Mark Daniel hat auf jeden Fall launig moderiert und Frau Kulturamt Susanne Kucharski-Huniat hätte eine hervorragende stellvertretende Direktorin einer polytechnischen Oberschule werden können, wenn nicht diese komische Sache 89 passiert wäre. Stets strenger Blick, aber im Ernstfall ist das Dienstverhältnis wichtiger als der eigene Kopf.
Eingeladen war auch Jörn Drewes vom Tanzcafé Ilses Erika, er machte das beste aus diesem Abend und nutzte die anderthalb Stunden zum Ausschlafen. Hat ja schließlich ein paar anstrengende (popup-Nächte vor sich.
Sebastian Dresel, seines Zeichens Popbeauftragter, erschlug das Auditorium mit einem Charme, der so wohl nur noch in seiner Heimatstadt hergestellt wird: Mannheim. Schönster Satz: „Ich bin eigentlich zum Zuhören und nicht zum Reden hier, auch wenn das anders aussehen mag.“ Hat also auch eine kommunale Fortbildungsmaßnahme zum Thema „Angewandte Ironie“ belegen müssen im Ländle. Haha.
Jan Hartmann von den Designers Open, neben Jörn der Einzige, der zum Thema „Kreativwirtschaft“ hätte etwas substanzielles, weil selbst und im Wortsinn Erarbeitetes liefern können, kam genau zweimal zu Wort.
Und dann war dann noch ein Dr. phil. namens Bastian Lange, der ganz, ganz dolle cluster- und panelmäßig geforscht und herausgefunden haben will, dass in Leipzig 60.000 Menschen in der „Kreativwirtschaft“ arbeiten. Und dass der gnadenlose globale Wettbewerb Standortvorteile für die schafft, die… wie war das noch gleich… „Die Kreativen gehen nicht dorthin, wo die Jobs sind, sondern die Jobs gehen dahin, wo ein kreatives Umfeld ist.“
Was die 60.000 Leute in Leipzig erklären würde – lebenserhaltende Beschäftigungsverhältnisse – sprich: Jobs – dürften die ja wohl kaum haben… Die haben sich also hier alle versammelt, weil sie genau gecheckt haben, wie das mit der Globalisierung läuft und warten jetzt ganz entspannt darauf, dass am Horizont die auf Leipzig zureitenden Arbeitsplätze erscheinen. Sehr, sehr clever!
Überhaupt kannte er viele Fachbegriffe auswendig, nur das Wort „zukunftsfroh“ hätte ich an seiner Stelle durch futurehappy ersetzt.
Alles in allem blieb der Eindruck, dass die prekäre Boheme (wo kommen da nochmal die Strichel drüber? Und wir planen eine französische Woche, hm…) sich zwar ganz tolle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie die (popup ausdenken kann, aber sich beim Verteilen des Kuchens noch ganz schön doof anstellt. Geschliffene Klinge und unternehmerischer Freigeist war jedenfalls nicht auszumachen, eher typisch deutsche Theoriehuberei („Wir müssen die Wirtschaftsförderung neu definieren“ – bis dahin sind 3/4 der gestern anwesenden verbraucherinsolvent oder haben einen Job in der Marketingabteilung der LWB…).
Einziger Lichtblick – keiner in der Kuppelhalle kam auf die Idee, dass die (popup unter anderen Gesichtspunkten zu verhandeln wäre als die Umtriebe anderer neumodischen Nischenwirtschaften wie, sagen wir mal, Solarzellenherstellung oder T-Shirt-Bedrucken-on-demand. Das ist eben reine Betriebswirtschaft für Leute, die ihr Hobby unbedingt zum Beruf machen müssen. Nicht unsympatisch das, aber leider viel zu oft noch ideell aufgeladen von wegen „Wir die Guten, weil besserer Geschmack“. Schnackes…
Ach, und außerdem habe ich hiermit den „Rasenden Reporter“ gegen Mathias Wöbking gewonnen. Seinen dafür wahrscheinlich feiner geschliffenen Bericht lest ihr morgen auf der Szene-Seite der LVZ. 🙂