Folgendes „zeitgenössische“ Dokument fiel uns letztens in die Hände – ein Artikel über die Moritzbastei in einem Städteführer von 1990, in dem neben dem Eiskeller, der naTo und allerhand anderen kulturellen Einrichtungen Leipzigs auch die Moritzbastei vorgestellt wurde. Du möchtest wissen, wie’s hier vor über zehn Jahren war, oder gar alte Erinnerungen auferleben lassen? Dann ist folgender Artikel genau das Richtige!
„Die Moritzbastei
Die Leipziger Moritzbastei ist in der Messestadt gleichermaßen beliebt wie umstritten. An der Eingangstür entlud sich jahrelang der uralte Konflikt zwischen Student und Lehrling, Intellektuellem und Arbeiter. Denn nur die Studenten hatten mit ihrem „Studentenausweis“ in der Hand, das Recht, den Klub zu betreten. Dieser Sonderstatus hat viel Unmut unter Nichtstudenten provoziert, aber andererseits ein über Jahre hinweg anspruchsvolles Programm und einmalige studentische Atmosphäre in den Gemäuern befördert, die als kultureller Wert der Stadt Leipzig durchaus von Gewicht sind.
Das ehemalige „Jugend- und Studentenzentrum der FDJ“ ist aus dem kulturellen Alltag Leipzigs nicht wegzudenken. Errichtet in längst vergangener, sozialistischer Aufbaustimmung von idealbeseelten FDJ-Studenten hat sich die „mb“, wie sie kurz genannt wird, zum vielleicht intensivsten Ort kritischer gesellschaftlicher Kommunikation vor der Revolution und intellektuell-anspruchsvoller Unterhaltung überhaupt in der Heldenstadt entwickelt.
Die „mb“ ist zentral gelegen, gleich neben der Karl-Marx-Universität, die in Zukunft bestimmt nur noch Universität Leipzig heißen wird, und bietet in ihren labyrinthischen Kellermauern pro Abend mindestens zwei, manchmal sogar drei parallel laufende Veranstaltungen unterschiedlichster Couleur an. Neben Konzerten, Theateraufführungen und natürlich auch Diskotheken sind es vor allem die Foren und Lesungen zu aktuellen gesellschaftstheoretischen, ökonomischen, ökologischen und politischen Themen, die das besondere geistige Klima der „mb“ und ihren Ruf entscheidend mitgeprägt haben.
Hier wurde schon vor dem Herbst 1989 versucht, Tabus zu brechen, und nach der großen Demonstration vom 9. Oktober war es die Moritzbastei, in der die ersten öffentlichen Diskussionen mit SED-Funktionären, Kirchenleuten und Oppositionellen stattfanden (die ersten Male mußten die Sprecher des Neuen Forum noch vom Zuschauerraum aus auftreten, da es im Podium sonst „heiß“ für den SED-Vertreter geworden wäre).
Die Räume in der „mb“ heißen „Veranstaltungstonne“ (VT), „Ratstonne“ und „Oberkeller“ (OK) oder aber haben assoziative Namen wie „Schwalbennest“ (SN) und „Fuchsbau“. Es gibt zwei große Bühnen, zwei Bars und ein Cafe, das tagsüber als „Barbakane“ geöffnet hat und als das Studentencafe von Leipzig gelten kann. Neben den spannenden Angeboten herrscht jedoch auch manchmal Tristesse in der Moritzbastei; spätestens seit dem Zeitpunkt, da die montäglichen Bierabende (auch an anderen Tagen) nicht mehr dem emotionsgeladenen politischen Diskurs über den Charakter der Revolution dienen, sondern vielfach in die sattsam bekannten bierseligen und fantasielosen Hang-around-Abende abgerutscht sind. Das neue Leipziger Stadtmagazin LEO hat die Studenten der Karl-Marx-Uni einmal nicht ganz unzutreffend als die „Ewiggestrigen“ bezeichnet.
Geradezu zum Negativ-Mythos sind die Türhüter von der sogenannten „Ordnungsgruppe“ aufgestiegen, die – meist aus den naturwissenschaftlichen Studiendisziplinen kommend – an Sturheit und Barschheit beim Abweisen von Eintrittswilligen DDR-weit Spitze sind. Man sollte sich von ihnen jedoch nicht beeindrucken lassen. Denn inzwischen dürfen sowohl Nichtstudenten als auch Wessies die „mb“ betreten. Der Unterschied betrifft lediglich noch die Höhe der Eintrittsgelder.
Die meisten bundesdeutschen Besucher übrigens, die in der ersten Hälfte 1990 bzw. noch im Herbst 1989 in der Moritzbastei weilten, zeigten sich begeistert von dem urgemütlichen Erlebnis. Ob das Bier weiterhin eine Mark fünfzehn – wie all die Jahre – kosten wird, ist eine von den vielen ungewissen Größen zur Zukunft auch dieses Hauses.“
…Vom ehemaligen „Jugend- und Studentenzentrum der FDJ“ zu einem der wertvollsten Kulturzentren Sachsens. Die Moritzbastei hat sich weiterentwickelt. Und Gott sei Dank darf heute jeder rein! 😉
Quelle: Leipzig – Wegweiser durch Stadt und Umgebung von Heike Siller, 1990