27. Oktober 2020

Der Pegasus wird neu beschlagen

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Ab dem 2. November 2020 wird Eileen Mätzold die älteste durchgehende Lesereihe auf dem europäischen Festland moderieren. Der Durstige Pegasus in der Moritzbastei bekommt damit auch seine erste weibliche Moderatorin seit seiner Geburt im Jahr 1974. Ihr Vorgänger Elia van Scirouvsky übergibt die Lesebühne damit nach einem Jahrzehnt in neue Hände.

Im Gespräch lassen beide die letzten Jahre Revue passieren und geben einen Ausblick auf das, was uns in Zukunft jeweils am ersten Montag des Monats im Schwalbennest der Moritzbastei erwarten wird.

Frage: Elia, wie bist Du zum Pegasus gekommen?

Elia: Henner Kotte ist schuld. Der hat 2010 die Lesebühne im FHL-Club moderiert. Als Volly damals die Moderation in jüngere Hände abgeben wollte, meinte Henner, ich wäre doch der richtige dafür. Dabei bin ich nur ein halbes Jahr jünger als Volly! Aber Volly war einverstanden.

Du wusstest also schon, was Dich erwartet, als Du 2010 den Pegasus übernommen hast?

Elia: Ich war damals regelmäßiger Gast beim Pegasus und auch selber schon als Autor auf der Bühne. In Leipzig war ich gut vernetzt, hab auf vielen Lesebühnen gelesen, kannte Hinz und Kunz. Das waren für mich die idealen Voraussetzungen.

Gab es für Dich zum Anfang bestimmte Pläne und wenn ja, was ist aus ihnen geworden?

Elia: Mein Plan war, die Publikumsstruktur etwas zu erweitern. Volly hatte ein sehr junges Publikum und viele Gäste aus der schwarzen Szene. Ich wollte sowohl auf der Bühne als auch im Publikum eine größere Bandbreite vom Alter her. Deshalb habe ich auch immer Newcomer mit gestandenen Autoren abwechseln lassen, das hat sich dann auch im Publikum gespiegelt.

Volly hatte mehr Debütanten als Du auf der Bühne, wenn die Erinnerung nicht täuscht?

Elia: Das stimmt. Wenn jemand neu in die Stadt kam und sagte: „Ich schreibe“, dann hat er denjenigen direkt auf die Bühne geholt. Ich wolle nicht nur Newcomer, sondern auch Autoren, die schon eine zweite Buchveröffentlichung haben. Das hat das Publikum auch immer als Mehrwert mitgenommen.

In den letzten Jahren waren beim Pegasus viele etablierte Autoren zu Gast. Sind die Verlage da direkt an Dich herangetreten oder hast Du die Gäste immer selbst gefunden?

Elia: Viele Verlage sind tatsächlich direkt an mich herangetreten. Durch viele meiner Moderationen, z.B. auf der Leipziger Buchmesse, wusste ich, welche Verlage interessante Bücher auf den Markt gebracht haben. Bis auf Krimis war so alles beim Pegasus dabei, viel Lyrik, ältere Autoren bis hin zu ganz neuen. Für Krimis hatte ich andere Veranstaltungen.

 Gibt es Highlights in den 10 Jahren, die Dir spontan einfallen?

Elia: Ein Höhepunkt war natürlich Jochen Wisotzki, der 2015 hier war. Den Begründer des Pegasus als Gast zu haben war für mich schon mega interessant.

Pegasus-Mitbegründer Jochen Wisotzki liest 2015 aus der Gründungsurkunde von 1974 vor. Seit 1976 ist die Lesereihe in der Moritzbastei beheimatet.

Und Tiefpunkte?

Eigentlich keine. Die meisten Autoren vom Pegasus kannte ich ja meist vorher von eigenen Besuchen bei anderen Lesebühnen. Ich wusste also, was mich erwartet. Ich hab das Publikum auch Performances geboten, die gewöhnungsbedürftig waren, aber das gehört eben auch dazu. Das einzige, was dem Pegasus ein bisschen auf die Füße gefallen ist, waren die Legida-Demonstrationen. Die waren ja immer Montags, und gerade das ältere Publikum, das ich mir erarbeitet hatte, ist dann weg geblieben, weil die Montags nicht mehr in die Innenstadt kommen wollten. Diese Lücke zu schließen ist mir später leider nicht gelungen, dieser Bruch ist geblieben.

Gab es Gäste, die über die zehn Jahre Deiner Moderation dem Pegasus treu geblieben und regelmäßig gekommen sind?

Elia: Ja, die gab es tatsächlich!

Eileen, wie war Deine erste Begegnung mit dem Pegasus?

Eileen: Ich habe hier beim Pegasus lesen dürfen, nachdem ich angefragt hatte. Das war etwas Besonderes für mich, weil man normalerweise bei Lesebühnen nur 10 oder 11 Minuten lesen kann. Beim Pegasus konnte ich ein ganzes Programm gestalten, eine knappe halbe Stunde!

Du bist Leipzigerin? Wie ist Dein literarischer Background?

Eileen: Ich wohne seit vier Jahren in Leipzig, bin damals zum Studium aus dem Altenburger Land gekommen. Seit meinem zwölften Lebensjahr schreibe ich, seit ich 14 bin, gehe ich auf Lesebühnen, also auch schon seit zehn Jahren. Hier in Leipzig gab es natürlich eine wahnsinnig große Bandbreite an Lesebühnen, in den letzten Jahren habe ich die ausführlich besucht.

Gibt es ein literarisches Terrain, auf dem Du Dich besonders zu Hause fühlst?

Eileen: Ja, die Lyrik. Ich schreibe auch Geschichten, lese die aber sehr, sehr selten vor. Langgedichte finde ich perfekt für die sechs Minuten Lesebühnenzeit. Ich mag das, wenn sich ein lyrisches Panorama entfaltet.

War es für Dich einfach, in die Leipziger Literaturszene einzutreten?

Eileen: Es war einfach, weil ich drangeblieben bin und immer wieder bei Veranstaltungen war. Ich habe es als wahnsinnige Chance empfunden, meine Texte vorstellen und darüber reden zu können. Wenn jetzt Leute neu dazu kommen, zum Beispiel zu den offenen Bühnen im Neuen Schauspiel oder im Beyerhaus, werden sie immer gut empfangen. Man bekommt schnell Angebote für andere Lesebühnen. Die Szene war überhaupt nicht elitär.

Elia: Man wird herumgereicht…

Eileen: Ja, so kann man das sagen (beide lachen).

Hast Du schon länger mit dem Gedanken gespielt, selbst eine Lesebühne zu moderieren?

Eileen: Es war schon überraschend, als Elia mich gefragt hat. Vorstellen konnte ich es mir, weil mich alles interessiert, was mit Literatur zu tun hat. Es hat mich natürlich auch sehr gefreut.

Welche eigenen Akzente möchtest Du beim Pegasus setzen?

Eileen: Ich möchte gerne mehr experimentellen Texten eine Bühne geben. Lyrik natürlich, aber literarische Essayistik interessiert mich zum Beispiel auch sehr. Prosa und Krimis werden durchaus auch eine Rolle spielen. Die Mischung ist mir schon wichtig. Oder eben die harten Kontraste.

Was unterscheidet für Dich den Pegasus von anderen Lesebühnen?

Eileen: Es ist sehr familiär. Es gibt viel mehr Konzentration auf den Text und weniger Show als bei Poetry Slams. Die Beschränkung beim Pegasus auf zwei Lesende finde ich sehr gut, auch die Kombination mit dem Interview bzw. das Gespräch über den Text ist sehr wichtig. Da gibt es dann auch mal die Möglichkeit, einen literaturtheoretischen Teil unterzubringen.

Habt ihr mal über das Thema Podcast nachgedacht?

Elia: Der Pegasus lebt vom Livepublikum. Die Autoren brauchen den Augenkontakt, musst merken, ob die Texte funktionieren. Das war auch immer für die Anfänger wichtig, dass sie sich ausprobieren können. Nicht vor einem Riesenpublikum, aber vor einem sehr wohlwollenden. Es hat hier Szenen-Applaus bei Lyrik gegeben, was man sich sonst gar nicht vorstellen kann. Das alles fehlt beim Podcast. Wie siehst Du das, Eileen?

Das Schwalbennest in der Moritzbastei. Foto: D. Endruhn

Eileen: Podcast-Formate für Lesebühnen finde ich nicht so reizend. Für einzelne Autoren kann das spannend sein, das stimmt. Es gab in der Corona-Zeit ja verschiedene Lesebühnen, die Livestreams angeboten haben über youtube oder facebook. Das machen aber so viele, dass man dabei untergeht. Das Pegasus-Konzept mit Fettbemme und Gurke ist ja auch so speziell.

Elia: Das Bier mit dem Publikum nach der Lesung war immer mindestens genauso wichtig wie die Lesung selbst. Man hat meist festgestellt, dass die Hälfte der Anwesenden selber schreibt und konnte sich austauschen. Die Gespräche zwischen den Autoren und mit dem Publikum waren immer sehr wichtig.

Wie ist die Verbindung zur Leipziger Literatenschmiede, dem Literaturinstitut?

Elia: Ich habe es immer wieder mal versucht, aber das war immer schwierig, die Leute für so eine Veranstaltung zu begeistern. Ich hatte Christian Kreis hier auf der Bühne, aber der hat selber Lesebühnen organisiert und war immer nah am Publikum. Ansonsten hat das DLL seine Tippgemeinschaft, die bewegen sich nicht auf anderen Lesebühnen.

Eileen, gibt es etwas, auf das Du Dich besonders freust oder wovor Du besonderen Respekt hast?

Eileen: Auf die Texte und die Gespräche mit den Autoren freue ich mich besonders. Ich gehe jetzt auch anders in andere literarische Veranstaltungen hinein, denke immer mit, ob ich Autoren begeistern kann, beim Pegasus zu lesen. Das ist spannend und eine neue Perspektive.

Elia: Das war bei mir genauso. Ich bin auch zu anderen Lesebühnen gegangen und habe oben abgeschöpft. Wenn jemand besonders gut war, habe ich ihn hierher geholt. Das war auch immer eine Auszeichnung, weil der Pegasus einfach eine Hausnummer ist.

Das ist tatsächlich so?

Elia: Der Pegasus hat mir auch in anderen Bereichen Tür und Tor geöffnet. Der Pegasus ist die älteste durchgehen bestehende Lesereihe auf dem europäischen Festland. Da konnte man dann auch Autoren begeistern ohne große Honorare, dafür mit der Verlockung, das in seine Biografie schreiben zu können (lacht).

Elia, hast Du schon Entzugserscheinungen vom Pegasus?

Elia: Nein, das war ja eine bewusste Entscheidung. Durch die Corona-Zeit gab es für mich auch einen Bruch, den Übergang hätte ich mir fließender gewünscht. Aber bei mir hat sich auch beruflich einiges geändert, hab neue Herausforderungen, so dass ich jetzt nicht in große Nostalgie verfalle. Man sollte auch immer wissen, wann man aufhören sollte. Es gibt immer jüngere, die auch besser vernetzt sind. Vieles kann ich auch gar nicht mehr leisten, ich renne nicht mehr auf jede Lesebühne. Da muss ich mich auch fragen, ob ich der Sache noch gerecht werde. Insofern bin ich ganz froh, dass ich das in Deine Hände geben kann, Eileen.

Eileen, was sind Deine Pläne bis 2030?

Eileen: In solchen Dimensionen denke ich nicht. Ich bin erst einmal gespannt.

Elia: Mir war auch wichtig, dass nach so vielen Jahren Pegasus jetzt eine Frau die Moderation übernimmt. Nicht als Quotenfrau, ich wusste ja, dass bei Eileen die literarische Qualität stimmt. Da habe ich auch bewusst gesucht und bin froh, dass es sich so gefunden hat.

Letzte Frage: Was darf das Publikum bei Deinem ersten Pegasus am 2. November  erwarten?

Eileen: Bei der ersten Veranstaltung werden Stefanie Maucher und Conrad Meissner lesen. Conrad kenne ich durch Lesebühnen und Slams, wo er vor allen Dingen experimentelle Texte gelesen hat. Stefanie habe ich vor anderthalb Jahren kennengelernt. Sie ist 1976 geboren, im Jahr, als der Pegasus in die Moritzbastei kam. Das fand ich dann ganz passend.

Am 2.11. beim Durstigen Pegasus zu Gast: Stefanie Maucher und Conrad Meissner .https://www.facebook.com/events/788516768610463

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