3. August 2016

Freiheit, Wirklichkeit, Musik aus Leipzig

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„Freiheit, Freiheit, Wirklichkeit“ ist der Titel eines Dokumentarfilmes über MusikerInnen und Macher des Leipziger Labels Analogsoul. Der Film ist ein schöner Anlass für einige Zeilen Leipziger Popmusikszene im Hier und Heute. Als Vorausblick auf den „Grossen Preis“, der im Dezember im Namen der Moritzbastei und des Werk2 an die Leipziger „Bands des Jahres 2016“ vergeben werden soll.

Zuerst: Seht euch den Film „Freiheit, Freiheit, Wirklichkeit“ an. Es lohnt sich! In knapp vierzig Minuten bekommt man einen Einblick in die Schaffenswelten von Projekten und Musikern wie Lilabungalow, Arpen, Klinke auf Chinch oder A Forest. Die Macher von Analogsoul erläutern ihren Antrieb und ihre Motivation, ein Label zu betreiben und Musik zu veröffentlichen.

In der Leipziger Musikszene gilt es als kleinster gemeinsamer Nenner, dass nur fehlende Strukturen der Grund dafür sind, dass so wenige Bands oder Projekte den Durchbruch zu überregionaler Bekanntheit schaffen. Die Realität, wie sie auch „Freiheit, Freiheit, Wirklichkeit“ abbildet, sieht anders aus. Leipzig ist berühmt für seine Unzahl an Liveclubs jeder Größe und für jeden Stil. Es gibt mehrere Bandhäuser und Musikschulen; die Hochschule für Musik wirft jahrgangsweise Profis aus. Professionelle Aufnahmestudios sind ebenso vorhanden wie Labels, Verlage und Bookingagenturen. Die Szene ist bestens vernetzt, die Liveklubs ebenso wie die freie Szene im Allgemeinen. Die einzige Struktur, die ortsansässigen Musikern nicht wirklich zur Verfügung steht, ist die Radiolandschaft, die allerdings zu den verdudeltsten der gesamten Republik zählt.

Woran könnte es also liegen? Am Wandel der Popmusik zur Dienstleistung? Daran, dass Popmusik als Aufreger und Ventil für jugendliche Sehnsüchte nicht mehr taugt? Ist die Ausdrucksform Popmusik ausgereizt, ist das Publikum übersättigt? Kann nischenübergreifender Erfolg in einer komplett segmentierten Gesellschaft noch gelingen?

Oder sind unsere Maßstäbe einfach die falschen geworden?

Der Film zeigt Freiberufler, kleine Mittelständler bei der Arbeit. Die Musik muss sich daran messen lassen, ob sich die Anstrengung lohnt. Und zwar nicht in künstlerischer Hinsicht, sondern in wirtschaftlicher. Im Marketingsprech heißt es return of interest, in der Welt selbständiger Musiker „wir hoffen natürlich,  dass am Ende die Kosten wieder reinkommen“. Sex, Drugs & Rebellion gehören in diese Welt so wenig wie in die eines Elektrofachmarktes.

Das ist die Wirklichkeit: Unabhängige Musiker sind  UnternehmerInnen in eigener Sache. Ersetzt man Synthesizer und Gitarren durch Kälber und Küken, so könnte man sich Analogsoul als einen demeterzertifizierten Biosupermarkt vorstellen. Die Industrieproduktion wird im kleinen Maßstab und mit einer anderen Ethik kopiert. Die Wirklichkeit des Marktes wird als unumstößlich akzeptiert. Freiheit wird nicht in Abgrenzung davon definiert, sondern als evolutionäre Anpassung.  Das ist pragmatisch, realistisch und sehr vernünftig. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet ist sie sogar riskant, weil die Konsumentenmasse Chartsmusik wie Aldibroiler bevorzugt.

Der Film dokumentiert in stilvollen Einstellungen,  wie  unter solchen Bedingungen sehr, sehr gute Samstagabendunterhaltung für anspruchsvolle Musikkonsumenten entsteht. Wenn Konventionen gebrochen werden, dann nicht in den Hörgewohnheiten , sondern in der Art des Vertriebes. Das Projekt I AM A FOREST hat(te) das Ziel, das Verhältnis zwischen Produzent und Konsument aufzubrechen. Im zugehörigen Manifest heißt es, „Wir sind keine Musiker mehr„, und wenn man möchte, kann man aus dem formulierten Anspruch herauslesen, was denn die Band A Forest denn gerne wäre: nämlich künstlerische Dienstleister.

(Auffällig ist, dass die Rolle von Text im Verhältnis zur Musik in „Freiheit, Freiheit, Wirklichkeit“ an keiner Stelle aufgegriffen wird. So lautstark die Protagonisten ihre Arbeitsweise zu erklären, so leise sagen sie, wie sie die Wirklichkeit außerhalb ihrer Musikmanufaktur sehen. )

Die portraitierten MusikerInnen und Labelmacher zeigen eine Facette der Leipziger Musiklandschaft. Es gibt viel, viel mehr zu entdecken. Der Grosse Preis versucht  diese Breite abzubilden, zumindest stilistisch. Die Analogsoulbetreiber sind übrigens wie viele andere Musiker und Szeneaktivisten Teil der Jury, welche die Preisträger für Leipzigs ältesten Musikpreis bestimmt. All diese Aktiven der Leipziger Musiklandschaft, – seien es Fotografen, Video- oder Musikproduzenten, Journalisten oder Clubbetreiber – wollen  mit dem „Grossen Preis“ dafür sorgen, dass die vorhandenen Strukturen wahrgenommen, gestärkt und – vor allen Dingen! – durch MusikerInnen genutzt werden. Gerne dafür, um sie auf den Kopf zu stellen.

Wir freuen uns in diesem Sinne auf zahlreiche Einsendungen von Bands und Projekten für den Publikumspreis. Diese sind noch bis zum 31.8. 2016 möglich. Wir sind gespannt, welche Entwürfe von Freiheit, welche Beschreibungen von Wirklichkeit und welche Form der Kompromisslosigkeit darunter sein werden.


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