16. November 2012

Neues & Erinnertes. Und: Baustellen.

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Vor einiger Zeit haben wir an dieser Stelle verkündet, dass wir für die Moritzbastei nach 8 Jahren eine neue Homepage bauen. Wir hätten es wissen können – Baustellen und Zeitpläne sind zwei Dinge, die sehr selten miteinander in Einklang zu bringen sind. Manchmal lassen sich auf solchen Baustellen aber erstaunliche Erkenntnisse gewinnen.

Einer der Gründe für das Relaunch der MB-Webseite war ja, dass wir auch online die Atmosphäre unserer Kulturbastion in all ihren Facetten transportieren wollen. Wir dachten an wunderschöne Bilder, welche die architektonischen Besonderheiten unseres Hauses ebenso transportieren wie auch die Stimmungen darin. „Visualisieren“ nennt sich das so schön fachidiotisch, und das ist verdammt schwer. Im digitalen Moritzbastei-Bildarchiv sind über 10.000 Fotografien gesammelt, dazu kommen noch einmal mehrere hundert Papierabzüge. Trotzdem stellte sich während der Arbeiten am Layout der Seite heraus – wir haben keine passenden Bilder! Ich persönlich kann jetzt zumindest ein bisschen nachvollziehen, wie sich die Herzensdamen fühlen, wenn sie vor dem überfüllten Kleiderschrank stehen…

Eine ähnlich große Herausforderung ist es, die vielfältigen Angebote der Moritzbastei zu strukturieren. Die Partymeute will ebenso schnell ihre Angebote finden wie die Firmen und Agenturen, die Interesse an geschlossenen Veranstaltungen in unseren Räumen haben. Der Service muss stimmen, die Optik ansprechen, die Informationen gut aufbereitet und verlinkt sein.

Und, nicht zu vergessen: Fehler is king! Sobald die eine Funktion läuft, klemmt es an anderer Stelle. Das Bild a ist falsch skaliert, der Link b führt ins Nirvana, der Menüpunkt c greift auf die falsche Hintergrundgrafik zu. Jeden Tag neue Notizen, ToDo-Listen, Telefonate und Emails mit den Programmierern. Am Morgen eines Arbeitstages das Gefühl, dass die Seite nie im Leben funktionieren wird. Am Abend der Eindruck, es gehe voran. Am nächsten Morgen das gleiche Spiel…

Es gibt aber auch Momente, die ganz anders berühren. Wenn die alte Bastei wieder eines ihrer Geheimnisse preisgibt. Bei der Überarbeitung der Unterseite über die Moritzbastei-Geschichte recherchierte ich ein wenig zur „Städtischen Schule für Frauenberufe“, welche bis 1943 auf den Fundamenten der Bastei stand. Dabei stieß ich auf eine Publikation zur Fremd- und Zwangsarbeit im Raum Leipzig zwischen 1939 und 1945. Die Frauenberufsschule wurde tatsächlich von der Stadt Leipzig ab 1942 als „Lager für ausländische Arbeiter“ genutzt und war damit eines von über 700 (!!) in Leipzig.

Dabei erinnerte ich mich daran, dass mich vor einigen Jahren eine ältere Dame vor der Ratstonne ansprach. Sie war nach eigenem Bekunden zum ersten Mal in der heutigen Moritzbastei und fragte mich, ob ich sie durch die Räume führen könnte. Sie lebte als Kind in der Sternburgstraße, wenn ich mich recht entsinne. Während der Luftangriffe auf Leipzig im Zweiten Weltkrieg musste sie mit ihrer Mutter immer zu einem zentralen Luftschutzbunker in der Innenstadt laufen, weil es in den Häusern ihrer Straße keine Luftschutzkeller gab. Einmal schafften sie es nicht mehr rechtzeitig, der Angriff lief bereits, als sie mit ihrer Mutter an der Frauenberufsschule vorüberhetzte. Ein Soldat bemerkte sie und rief sie in die Keller unter der Frauenberufsschule, um dort Schutz zu suchen. Dort waren sie nicht allein; die alte Dame erzählte, wie in einer Kellerecke Menschen zusammengedrängt waren und sangen. Ihrer Erinnerung nach waren es russische Kriegsgefangene, die gemeinsam singend ihre Todesangst zu bezähmen suchten. Den tief empfundenen Gesang, der unter den Bombeneinschlägen durch die Gewölbe klang, habe sie ihr Lebtag nicht vergessen.

Den Ort, an dem die Gefangenen saßen, fanden wir beim Rundgang nicht wieder. Verständlich, die Moritzbastei wurde in den 1970er Jahren komplett umgestaltet. Am ehesten könnte sich die Begebenheit im heutigen Oberkeller zugetragen haben, der aber erst seit gut 30 Jahren sein heutiges Aussehen hat (das Titelfoto zeigt ihn im Jahr 1974). Die ältere Dame war nicht enttäuscht, dass wir nicht fündig wurden. Sie wirkte geradezu befreit, dass sie mir ihre Geschichte erzählen konnte, und hoffte, dass sie in irgend einer Form in die „große“ MB-Geschichte eingehen könnte. Was bei dieser Gelegenheit geschehen mag.

Der große Bogen soll aber wieder geschlossen werden. Wir hoffen und planen, in der nächsten Woche die wichtigsten Arbeiten an der neuen Moritzbastei-Webseite abschließen zu können. Dann wird ausgiebig getestet, letzte Details geschliffen. Wir drücken uns die Daumen, am 1. Dezember den Startknopf drücken zu können.


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